Die DAUERAUSSTELLUNG "VERNUNFT FÜRS VOLK"
Die Dauerausstellung "Vernunft fürs Volk - Friedrich Eberhard von Rochow im Aufbruch Preußens" ist die erste und einzige Exposition zum Leben und Wirken von Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) überhaupt.
Im Jahr 2011 feierte das Rochow-Museum sein zehnjähriges Bestehen. Aus diesem Anlass wurde die Dauerausstellung in Teilen überarbeitet und am 20.08.2011 neu eröffnet. Die Erkenntnisse der Rochow-Forschung aus den letzten zehn Jahren wurden eingearbeitet. Die Teilerneuerung konnte durch Mittel des Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, des Fördervereins Rochow-Museum und Akademie für bildungsgeschichtliche und zeitdiagnostische Forschung e. V. an der Universität Potsdam sowie durch die Universität Potsdam, die Gemeinde Kloster Lehnin, die Stiftung „Der Kinderfreund“ und Privatpersonen finanziert werden.
Am originalen historischen Ort bieten acht thematisch gestaltete Räume vielfältige Einblicke in das Wirken des berühmtesten Schlossherrn von Reckahn. Die Dauerausstellung verbindet das Reformwerk F. E. v. Rochows mit den Themen Aufklärung, Toleranz und Bildung des Menschen. Knappe, aber informative Texte, Bild- und Toninszenierungen machen den Rundgang interessant und abwechslungsreich.
Das Rochow-Museum wurde am 3. August 2021 20 Jahre alt. Aus diesem Anlass entstand nachfolgende Broschüre zum Herunterladen: Broschüre 20 Jahre Rochow-Museum
Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 1 - Das aufgeklärte Gespräch
Im Hauptraum des Herrenhauses, dem Gartensaal, begegnet der Besucher Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) als Patron, Domherr, Agrarreformer, pädagogischer Aufklärer und Philanthrop u.a. in einer Toninszenierung. "Das aufgeklärte Gespräch" versammelt Rochow, seine Frau Christiane Louise (1734-1808), den Fürsten Leopold III. Friedrich-Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) und Minister Karl Abraham von Zedlitz (1731-1793) zu einem aus historischen Quellen entwickelten Dialog, wie er hier stattgefunden haben kann.
Das Ehepaar Rochow empfing in diesem Gartensaal sicher mehr als tausend Gäste und Freunde. Aufgeklärte Fürsten, Minister, Theologen, Pädagogen aber auch "gemeine Menschen" des 18. Jahrhunderts waren an diesem Ort durch das Ideal gelehrter Geselligkeit verbunden. Intensive und freundschaftliche Gespräche dienten der Wahrheitsfindung. Sie waren für die Anhänger der Aufklärung eine moralische Notwendigkeit und Tugend des persönlichen Umgangs. Im Gespräch offenbarten die Partner ihren Charakter und ihre Privatmeinungen.
Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 2 - Rochow als Agrarreformer
Friedrich Eberhard von Rochow gehörte nach Übernahme der Gutsherrschaft von seinem Vater Friedrich Wilhelm von Rochow 1760 bis zu seinem Tode 1805 zu jenen Landadligen, die frühzeitig den Zusammenhang von Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Verbesserung der Bildung der Landbevölkerung erkannten. Als erster Direktor der 1791 von ihm mitbegründeten Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam war Rochow maßgeblich an der Verbesserung der Agrarstruktur und des Untertanenrechts bereits 40 Jahre vor den preußischen Reformen beteiligt.
Die Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam nutzte Rochow als Podium zur Popularisierung seiner volksaufklärerischen Vorstellungen. Durch Vorlesungen, Stiftungen von Preisgeldern und Veröffentlichungen wurden die ca. 200 ordentlichen und 115 korrespondierenden bzw. Ehren-Mitglieder über Rochows ökonomische Erfahrungen und Initiativen informiert. Die Märkische Ökonomische Gesellschaft war Teil eines umfassenden europäischen Netzwerkes der Aufklärung, mit dem die Entdeckung von Volk, Erziehung und Ökonomie in ihren personellen und institutionellen Wechselwirkungen verbunden war.
Mit dem Ziel der Volksaufklärung verfasste Rochow - direkt an die Bauern gewandt - seine "Märkischen Bauerngespräche", die als Kalendergeschichten erschienen. Die „Märkische[n] Bauern-Gespräche“ zeigen das Bemühen, die Themen der gemeinnützig-ökonomischen Aufklärung als „Stoff zum Denken“ in dialogischen Lehr-Lerngesprächen unter der ländlichen Bevölkerung zu popularisieren.
Foto: Heike Schulze, 2011
raum 3 - Ökonomische Versuchstätigkeit
In diesem Raum werden ausgewählte ökonomische Themen und Versuche vorgestellt, die auf Initiative von Rochow in der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam angeregt und befördert wurden. Modernität der Lebensverhältnisse war für Rochow nur durch kreative Ideen bei der Suche und Herstellung neuer Produkte und Verfahren erreichbar. Mit der Stiftung von Prämien für Preisaufgaben (u.a. Schädlichkeit der Bleiglasur, Verfassen eines Tierarzneibuches, Verwendung von Flechtenmaterial) versuchte Rochow beispielhaft, ökonomische Initiativen zu stimulieren und mit dem Gedanken individueller und staatlicher Wohlfahrt zu verbinden.
Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 4 - Das Philanthropisches Denklehrzimmer
Die Philanthropen (Menschenfreunde) waren von der Vernünftigkeit und Erziehbarkeit der Menschen überzeugt. In den philanthropischen Musterschulen (z. B. Basedows Dessauer Philanthropin oder Salzmanns Philanthropin in Schnepfenthal) wurden lebensnahe, anwendbare und weltoffene Bildungsinhalte vermittelt und die Selbsttätigkeit der Schüler gefördert.
Das Denklehrzimmer ist eine Erfindung des Philanthropen Christian Hinrich Wolke (1741-1825). Er war der wichtigste Unterrichtspraktiker am Dessauer Philanthropin und hat, wie alle Lehrer des Dessauer Philanthropins, die Reckahner Musterschule besucht. Das Denklehrzimmer sollte die Stelle eines Lehrers vertreten und das gemeinsame freie Lernen von Kindern und Erwachsenen möglich machen. Wolkes nie realisierter Entwurf ist hier erstmals museal umgesetzt. Die verschiedenen Lern- und Anschauungsmaterialien in diesem Ausstellungsraum können alle Altersgruppen zum Lernen anregen.
Die Reckahner Schule war die erste philanthropische Musterschule überhaupt. Durch Ihren Besuch des Schulmuseums können Sie sich darüber ausführlich informieren.
Foto: Universität Potsdam 2011
Raum 5 - Begegnungsräume: Familie, Freundschaften, Domkapitel Halberstadt
Das 18. Jahrhundert wurde als Pädagogisches Jahrhundert aber auch als Jahrhundert der Freundschaft beschrieben. Rochow war mit fast allen in dieser Ausstellung erwähnten Personen freundschaftlich verbunden. Tugend und Empfindsamkeit haben das Freundschaftsideal der Aufklärung geprägt.
Im Freundeskreis des Dichters Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) hat Rochow seine Frau kennengelernt und entscheidende Anregungen für sein volkserzieherisches Engagement bekommen. Ein ständiger Gesprächspartner in Reckahn war Pfarrer Stephan Rudolph (1729-1803). Als Halberstädter Domherr pflegte Rochow freundschaftlichen Verkehr mit dem Domsekretär und "Dichtervater" Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) und mit dem einflussreichen Domdechant Ernst Ludwig Spiegel (1711-1785), dem er schon wegen der gemeinsamen Jagdleidenschaft ganz besonders verbunden war.
Bedeutende Frauen der Aufklärungsgesellschaft des 18. Jahrhunderts haben sich in Reckahn getroffen. Sie reisten allein oder mit Freundinnen oder in Begleitung ihrer Ehemänner. Sie besuchten Schloss und Musterschule und pflegten im Gespräch ebenso wie in ihren Briefen intensiven Austausch über die wichtigen Sozial- und Bildungsreformen ihrer Zeit. Zu den Reckahn besuchenden Frauen gehörten international berühmte Fürstinnen, Dichterinnen sowie eine Agrarreformerin, eine Gartengestalterin und philosophische Schriftstellerin, eine Kunstmalerin und eine Diplomatin. Diese Frauen waren privilegiert und sehr anerkannt; zugleich war ihr Leben geprägt von den leidvollen Geschlechter- und Ständehierarchien ihrer Zeit.
Einblicke in die Rochowschen Begegnungsräume. Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 6 - Besucherströme
Reisen war im 18. Jahrhundert eine beschwerliche Sache. Die Verkehrswege waren im Kutschenzeitalter meist unbefestigt und kaum ausgebaut. Rad-, Achsen- und Deichselbrüche gehörten zum Alltag. Auch Straßenraub war an der Tagesordnung.
Wie Anton Friedrich Büschings "Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Reckahn (1775)" zeigt, dauerte diese einen Tag. Für die im Verzeichnis der Besucher der Reckahner Schule aufgeführten ca. 1200 Personen war die zuweilen über 1000 km führende Reise eine kostspielige, zeitaufwendige und gefahrvolle Expedition. Trotzdem kamen nach Reckahn erstaunliche Besucherströme, weil sie dort Bauernjungen und Bauernmädchen als vernünftige Geschöpfe im menschenfreundlichen Unterricht des Lehrers Heinrich Julius Bruns (1746-1794) beobachten wollten. Zurecht galt Reckahn im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts als pädagogisches Mekka der Aufklärungsgesellschaft.
So schrieb Jakob Friedrich Feddersen in der Folge seines Besuchs am 2. Mai 1775 im Jahr 1778 über Reckahn: „Ach Gott! wäre es doch überall so nahrreich für den Geist; so erbaulich und entzückend für das Herz wie in Reckahn, wie froh würde man immer seyn!“
Im Vordergrund das originale Besucherbuch der Reckahnschen Schule. Im Hintergrund die vergrößerte Reisekarte aus Büschings "Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Reckahn" (1780). Daneben die Büste des Besuchers und Verlegers Friedrich Nicolai (1733-1811). Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 7 - Erfahrungen und Wirkungen
Rochows Bestseller Der Kinderfreund – Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen (1776) ist das erste deutsche Volksschullesebuch. Kein anderes Lesebuch hat über ein Jahrhundert in unzähligen Neuauflagen, Nachdrucken und Umarbeitungen europaweit die Volksschulentwicklung maßgeblicher beeinflusst. Mit dem Kinderfreund gelang es, die große Lücke zwischen Bibel und Fibel auszufüllen. Die Lesestücke des Kinderfreundes behandeln Themen aus der Lebenswelt der Kinder. Sie regen zum Nachdenken über Moral und zur Erforschung der kindlichen Umwelt an.
Die Wirkungen von Rochows Landschulreform sind auch nach dessen Tod (1805) in Deutschland und Europa nachweisbar. Rochows Schriften zur Schulverbesserung wurden weiterhin von Schulpraktikern gelesen. Die Volksschullehrer beriefen sich insbesondere zur Zeit der Preußischen Reformen auf Rochow. Vor allem der Potsdamer Regierungs- und Schulrat Ludwig Natorp und dessen Nachfolger Wilhelm von Türk haben Rochows Reformansätze weitergeführt. Für die Verbreitung der Rochowschen Pädagogik wurden die von Prediger Friedrich Wilhelm Gotthilf Frosch auf Anregung Natorps 1810 in Krahne gegründete Schullehrerkonferenzgesellschaft besonders wichtig. Die von speziell geschulten Predigern geleiteten Schullehrerkonferenzgesellschaften breiteten sich nach 1810 in ganz Brandenburg aus und haben die Entwicklung der preußischen Lehrerseminare noch bis in die 1840er Jahre befördert.
Einblicke in die Erfahrungen und Wirkungen der Rochowschen Lehrart - damals und heute. Foto: Heike Schulze, 2011
Raum 8 - Selbstaufklärung
Dieser Raum fordert die Besucher zur Auseinandersetzung mit den heute noch lebendigen Impulsen des Zeitalters der Aufklärung heraus. Nicht der historische Kontext von Rochow, sondern aktuelle Fragen der Selbstvergewisserung und Selbstaufklärung der Menschen werden in bewusster Trennung und Distanz thematisiert. Wie das Pädagogische Jahrhundert vor über 200 Jahren konfrontiert das 21. Jahrhundert die Menschen der Informationsgesellschaft mit neuen Fragen und schwierigen Herausforderungen. Schon Rochow wusste: "So wenig andere für uns sehen und gehen und essen dürfen, so wenig bedarf es, daß sie statt unser denken."
Die pädagogische Annäherung an die Frage der Selbstreflexivität des Menschen erfolgt handlungsorientiert: Der Bildhintergrund ist von den Besucherinnen und Besuchern aus drei verschiedenen Motiven wählbar. Zum Abschluss ihres Museumsbesuches können sich Besuchergruppen und Einzelpersonen vor dem selbst gewählten Hintergrund fotografieren lassen.
Fotowand. Das Bild stammt aus Meinhardt, J. (1819): Unverwüstliches ABC und Bilderbuch für kleine Kinder. Foto: Heike Schulze, 2011